

Richtiger Umgang mit Symptomen
Erfolg in der Genesung bedeutet, immer besser mit Symptomen umgehen zu können. So lernt dein Gehirn, dass diese nicht gefährlich und somit auch nicht länger nötig sind.
Der gelassene Umgang mit Symptomen ist die wichtigste Fähigkeit, die du auf deinem Genesungsweg trainieren kannst.
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Wenn du jedes Mal Angst bekommst, sobald deine Symptome zunehmen. Wenn du dir grosse Sorgen machst, wie lange sie bleiben und ob sie bei der nächsten Anstrengung noch viel schlimmer werden und vielleicht nie mehr weggehen... dann weisst du, dass du noch am Anfang deiner Reise stehst.
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Wenn du dich hingegen beinahe freust, wenn Symptome kommen, du sie gelassen hinnimmst, im Wissen darum, dass sie temporär und die Voraussetzung dafür sind, dass sich dein Nervensystem an das neue Belastungsniveau anpassen kann. Wenn du nicht Gefangener, sondern interessierter Beobachter deiner Symptome bist... dann weisst du, dass du bald am Ende deiner Reise angekommen bist.
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Diese Einleitung mag für dich erschreckend und beinahe unmöglich erscheinen. Und tatsächlich wird es wohl eine der schwersten Aufgaben deines Lebens werden, diesen kontraintuitiven Umgang mit Symptomen zu erlernen. Aber im Vergleich zu deinem neuen Leben als gesunder Mensch, werden alle deine Symptome, Anpassungsphasen und Crashes, die dir noch bevorstehen, die Mühe und alles Leiden tausend Mal wert sein.
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Es ist wie beim Ausbau der Baseline. Der Anfang ist am schwierigsten. Also legen wir los und schauen uns an, was zu tun ist, wenn du Symptome hast resp. wenn diese zunehmen.
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1. Akzeptanz
Dies ist immer der erste Schritt. Du kannst Symptome nicht überwinden, wenn du sie nicht akzeptierst. Akzeptanz bedeutet nicht Resignation, sondern nur, dass du aufhörst, dich innerlich dagegen zu wehren, sobald sie auftreten. Wenn du dagegen ankämpfst, verspannt sich dein ganzer Körper und sendet Gefahrensignale an dein Gehirn. Das verbraucht unnötig Energie und verstärkt deine Symptome zusätzlich. Angst schärft nämlich nicht nur unsere Sinne, sondern wirkt auch wie ein Vergrösserungsglas auf unsere Symptome. Gib dich stattdessen ganz den Symptomen hin und spüre sie, ohne sie zu bewerten. Akzeptiere, dass du sie in diesem Moment nicht ändern kannst. Du brauchst sie objektiv gesehen nicht zu fürchten. Sie sind unbedenklich und sie sind temporär.
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2. Unbehagen bedeutet nicht Gefahr
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Wenn du mit einem Tiger in einem Raum eingesperrt bist, nützt es dir nichts, wenn dir jemand sagt, du müsstest keine Angst haben, denn du weisst genau, dass Tiger gefährlich sind.
Damit du die Angst vor den Symptomen loslassen kannst, musst du entsprechend genau verstehen, woher sie kommen und weshalb sie zwar unangenehm, aber trotzdem harmlos sind. Im Menü Ursache erklären wir im Detail, weshalb es sich bei den Symptomen von CFS um einen Fehlalarm des Gehirns handelt. Dieses Wissen ist zentral.
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Falls du jetzt denkst, dass deine Symptome so stark sind, dass sie unmöglich nur von einer Fehlfunktion des Gehirns stammen können, dann sei versichert: SIE KÖNNEN! Das Gehirn ist in der Lage die allerschlimmsten Symptome zu produzieren, auch wenn keine physischen Schäden vorliegen. Im Gegensatz beispielsweise zu einem Beinbruch haben solche neuroplastischen Symptome aber die Eigenschaft, dass sie kommen und gehen und mal stärker und mal schwächer sind (abhängig vom Grad des Alarmzustandes im Gehirn). Wenn du dich hingegen in den Finger schneidest, ist der Schmerz zu Beginn am grössten und nimmt mit zunehmender Heilung ab. Hier gibt es keine mysteriösen Schwankungen.
Falls dich dies noch nicht überzeugt, empfehlen wir dir unbedingt, einige Erfolgsgeschichten von Betroffenen, welche CFS überwunden haben, online zu lesen oder zu schauen. Das Internet ist voll davon... Du wirst sehen, dass diese Menschen vor ihrer Genesung extreme Symptome hatten und es trotzdem geschafft haben, sie zu überwinden - manchmal unter widrigsten Umständen. Das wird dir helfen, nicht nur zu wissen, dass CFS-Symptome nicht gefährlich sind, sondern dies auch tatsächlich zu glauben.
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Und noch ein letzter Tipp: suche nach Ausnahmen zu deinen üblichen Triggern. Manche Betroffene schildern zum Beispiel, dass sie innerhalb des Hauses relativ viele Schritte machen können. Sobald sie aber das Haus verlassen, bekommen sie sofort Symptome. Solche Erfahrungen sind sehr hilfreich, weil sie ein klarer Beweis sind für neuroplastische Symptome, welche nicht auf einen körperlichen Defekt hindeuten. Diese Symptome sind nicht eingebildet, das Gehirn löst sie aber nicht bei allen Triggern aus.
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3. Freak out less!
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Wissen allein reicht leider nicht aus. Du musst den richtigen Umgang mit Symptomen trainieren. Dies ist ein gradueller Prozess - genau gleich wie beim Erweitern der Baseline. Es wird dir kaum gelingen, deine Angst vor den Symptomen sofort loszulassen - insbesondere, wenn diese sehr stark sind. Deshalb ist die Devise: flippe WENIGER aus. Versuche zuerst einfach nur weniger oft, weniger lange oder weniger stark in den Strudel aus Angst und Symptomen zu geraten.
Dein Fortschritt in der Genesung wird massgeblich dadurch bestimmt, wie du mit Symptomen umgehst. ​
Dabei ist es wichtig, zwischen Reaktion (engl. reaction) und Antwort (engl. response) zu unterscheiden. Wenn du Symptome spürst, wird deine Amygdala immer schneller sein als dein Verstand. Angst als erste Reaktion ist also völlig normal. Wichtig ist, dass du dies wahrnimmst und dann eine bewusste Entscheidung triffst, wie deine Antwort aussehen soll.
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4. Die richtige Antwort auf Symptome
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a) Emotionen kontrollieren
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Du hast die Wahl, in welchen Zustand du kommst, wenn deine Symptome zunehmen. Wenn du dich der Reaktion deiner Amygdala hingibst, wirst du in die Spirale aus Angst, Frust und immer stärkeren Symptomen hineingezogen. Dann verharrt dein Nervensystem in einem konstanten Fight or Flight Modus und es wird immer schwieriger, eine rationale Antwort auf die Symptome zu geben.
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Aber das muss nicht sein! Der Weg aus diesem Zustand hinaus beginnt mit Achtsamkeit. Wenn du lernst, dich in solchen Situationen quasi von aussen zu beobachten, kannst du bewusst handeln. Meditation hilft dir, genau diese Fähigkeit zu trainieren.
Es gilt dann in einem ersten Schritt, einfach nur wahrzunehmen, was gerade passiert, ohne dies zu bewerten. Wenn du ängstlich, wütend oder verzweifelt bist, dann halte inne, sobald du dies realisierst und lass die Emotionen erstmal einfach zu. Wenn du weinen musst, dann weine. Kämpfe nicht gegen die Emotionen an, sondern nimm sie einfach nur wahr.
Das gleiche gilt, wenn du aufgrund der Symptome zu katastrophisieren beginnst und dir lebhaft ausmalst, welche schlimmen Konsequenzen diese für die kommenden Stunden oder Tage und vielleicht sogar den Rest deines Lebens haben könnten. Halte inne, sobald du solche Gedanken wahrnimmst. Unter Braintraining in der Toolbox erfährst du mehr darüber, wie das funktioniert.
Dieses Wahrnehmen ohne zu bewerten ist die Voraussetzung für den zweiten Schritt, wo du dich fragst: "Was kann ich jetzt tun, damit ich mich besser fühle?" Entscheide dich dann bewusst, dich zu regulieren, dein Nervensystem entspannen und deinen Fokus neu auszurichten (vgl. Punkt b).
Es ist sehr wichtig, dass du bei diesem Prozess Mitgefühl mit dir selber hast (nicht zu verwechseln mit Selbstmitleid). Sei gut zu dir und versuche alles, was dir möglich ist, um deinem Gehirn Sicherheitssignale zu senden. Erinnere dich immer wieder daran, dass die Symptome zwar sehr unangenehm, aber nicht gefährlich sind. Manchmal hilft es dann, wie ein Mantra zu wiederholen: "Es ist nur ein Loop im Gehirn" oder "Es ist nur mein Nervensystem". Dies kannst du gerne hundertmal am Tag tun.
Die richtige Atmung ist in diesem schwierigen Prozess übrigens eine wertvolle Hilfe!
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b) Fokus verändern
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Worauf du deine Aufmerksamkeit lenkst, wird verstärkt! Was du deshalb auf keinen Fall willst, ist ein ängstlicher Fokus auf deine Symptome. Stattdessen hast du zwei Möglichkeiten:
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I) Entspannter Fokus auf die Symptome
Dies kann auf zwei Arten geschehen:
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a) Selbstregulation: Dabei geht es darum, innerlich zur Ruhe zu kommen, sich selbst wahrzunehmen und Überforderung zu erkennen. Selbstregulation hilft, unangenehme Symptome auszuhalten (mit ihnen zu sein) und Emotionen und Gedanken gelassen zu beobachten. Jeder muss für sich entdecken, was ihm dabei am besten hilft. In den Tools findest du dazu viele Anregungen: ​Atmung, Erholung, Nervensystem.
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b) Somatic Tracking: Hier wird der Fokus ganz bewusst auf die verschiedenen Symptome und ihre Ausprägungen gelenkt. Dies ist eine ganz spezifische aber wichtige Form der Selbstregulation und ist nur sinnvoll, wenn du dich gleichzeitig völlig entspannst, damit dein Gehirn lernt, dass die wahrgenommenen Symptome nicht gefährlich sind. Eine genaue Anleitung zum Somatic Tracking findest du in der Toolbox. Dies solltest du nur bei moderaten Symptomen praktizieren. Wenn sie schwer sind wird es sehr schwierig und dann ist es besser, den Fokus auf etwas anderes zu lenken.
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II) Fokus auf das, was du (stattdessen) willst
Hier müssen wir unterscheiden zwischen Bewältigung und Befreiung:
a) Bewältigung: Jede Ablenkung ist besser als ein ängstlicher Fokus auf deine Symptome! Wenn wir die unangenehmen Symptome jedoch nur "bewältigen", betäuben wir uns, damit wir die Überwältigung durch die Erfahrung in unserem Körper nicht mehr spüren müssen. Damit leisten wir langfristig aber keinen Beitrag, dass es uns besser geht. Klassische Bewältigungsstrategien sind beispielsweise: Scrolling durch Social Media, Alkohol, Zucker, ständiges Recherchieren über Symptome/CFS, anregende (Action-) Filme ansehen, Selbstverletzung, etc.
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b) Befreiung: Wenn wir es schaffen, uns von unseren Symptomen nicht lähmen zu lassen und uns stattdessen etwas zuwenden, das uns erfüllt, befreien wir uns mit der Zeit aus dem Gefängnis, das unsere Symptome geschaffen haben. Fokussiere dafür bewusst auf dein gewünschtes, künftiges Leben und lass dich dabei von den Symptomen nicht behindern. Sie bestimmen nicht deinen Tag!
Es geht also idealerweise um ein "Hin zu" statt "Von weg". Dazu ist es wichtig, dass du ein starkes WARUM hast. Warum willst du gesund werden? Was ist dir wichtig im Leben? Was möchtest du wieder tun können, wenn du gesund bist? Versuche dich diesem Leben in kleinen Schritt anzunähern und lass dich nicht entmutigen, wenn es am Anfang nur Bruchstücke sind, welche du realisieren kannst.
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Hier ein paar Beispiele:
Wenn du Musik magst, höre ein paar Minuten deine Lieblingssongs, auch wenn du starke Symptome hast. Wenn du mehr Zeit mit deinen Kindern verbringen möchtest, tue dies, auch wenn du dich unwohl fühlst - es zählt die Qualität und nicht die Quantität dieser Zeit. Wenn du gern Tennis spielst, starte mit 5 min auf dem Platz oder gehe zuerst nur zuschauen. Wenn du mehr Zeit mit Freunden verbringen willst, starte mit einem kurzen Telefon, etc.
Du wirst sehen, dass ein bewusstes "Hin zu" mit der Zeit die Kraft haben wird, deine Symptome zu reduzieren, statt sie zu befeuern.
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Zusätzlich (oder wenn du nichts anderes tun kannst) ist es auch eine sehr mächtige Massnahme, dich einfach ruhig hinzulegen und dein künftiges Leben zu visualisieren. Versuche dabei, alle Sinne einzusetzen: was wirst du sehen, spüren, hören, riechen, schmecken und fühlen, wenn du deine Träume leben wirst? Dies ist ein Teil des Braintrainings, wozu du in der Toolbox weitere Informationen findest.
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​5. Die richtigen Schlüsse ziehen
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Symptome informieren dich, dass dein Gehirn in diesem Moment überstimuliert ist, resp. wieder mehr vermeintliche Gefahren wahrnimmt. Das ist alles!
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In diesem Fall solltest du eine Zunahme der Symptome als Anlass nehmen, kurzfristig einen Gang zurück zu schalten, dein Nervensystem zu beruhigen und deinen Fokus richtig zu lenken (vgl. 4). ​
Gleichzeitig ist es aber ganz entscheidend, dass du dich dadurch nicht in eine übermässige (lediglich von Angst getriebene) Schonhaltung zurückziehst. Dies ist die Kunst, Pacing um CFS zu überwinden zu betreiben.
In vielen Fällen bedeutet eine Zunahme der Symptome somit nicht, dass du gar nichts mehr tun solltest, sondern lediglich WENIGER. Wenn du Aktivitäten unnötigerweise fürchtest und komplett einstellst, verstärkst du lediglich die unerwünschten neuronalen Konditionierungen in deinem Gehirn.
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Nur wenn der Anstieg deiner Symptome sehr krass ist, solltest du dich für ein paar Tage vollständig auf deine Erholung konzentrieren und alle Reize bestmöglich reduzieren.
Übrigens: öfter als du vielleicht denkst wäre in Phasen mit mehr Symptomen die bessere Schlussfolgerung, dass du deine kognitiven und emotionalen Belastungen reduzierst und nicht die physischen. Recherchieren, grübeln, sich sorgen und dann wieder durch Social Media ablenken belasten dein Nervensystem oft mehr als ein Spaziergang. Probiere es aus!
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6. Symptome sind nötig!
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Wenn du starke, noch nie dagewesene Symptome hast, macht es Sinn, diese ärztlich abzuklären. In den meisten Fällen wird dein Arzt dabei aber keine körperliche Ursache finden und du kannst sie als neuroplastische CFS-Symptome abhaken.
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CFS-Symptome sind immer temporär. Sie bedeuten nicht, dass etwas in deinem Körper irreparabel geschädigt wurde. Selbst wenn sie sehr schlimm sind: sie gehen früher oder später vorbei!
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Und noch wichtiger: Symptome sind der Weg hinaus aus der Krankheit!
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Um neue neuronale Verbindungen in deinem Gehirn zu schaffen, brauchst du Symptome.
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Symptome sind wichtig, um zu verändern, wie dein Gehirn auf sie reagiert.
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Sie sind immer wieder eine neue Gelegenheit, um deinem Gehirn beizubringen, dass sie nicht gefährlich sind. Freak out less!
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Je intensiver sie sind, umso flexibler ist dein Gehirn für Veränderungen (Neuroplastizität).
In deinen dunkelsten Stunden kannst du die grössten Schritte in Richtung deiner Genesung tun!
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​7. Symptome gehen als letztes
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Das Vorhandensein von Symptomen ist nicht der korrekte Massstab für Erfolg in deiner Genesung - der viel wichtigere Massstab ist dein Umgang damit. Es geht darum, eine gewisse Gleichgültigkeit zu entwickeln, ob du Symptome hast oder nicht. Wenn sie kommen, hast du nichts falsch gemacht. Solange du ruhig(er) und zuversichtlich(er) bleibst, dass dies nur ein Fehlalarm deines Gehirns ist, bist du weiterhin auf dem richtigen Weg. Dabei ist Konsistenz zentral. Heute ruhig bleiben und morgen wieder komplett ausflippen, wird dein Gehirn nicht umprogrammieren.
Deine Symptome sind also ein nachlaufender Indikator für dein Mindset. Solange sie noch da sind, brauchst du lediglich weiter an deinem Mindset zu arbeiten - mehr in Richtung "Ich bin in Ordnung und auf dem richtigen Weg. Ich weiss, was hier geschieht und es ist mir egal, wann es verschwindet." Erst wenn du das Gehirn überzeugt hast, dass du in Sicherheit bist und deine Symptome nur ein Fehlalarm sind, wird es die Symptome abschalten. NICHT UMGEKEHRT!
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Ist das schwer? Natürlich. Aber das Leben mit den Symptomen ist noch schwerer. Deshalb lohnt es sich, täglich an diesem Mindset zu arbeiten. Im Menü Emotionen & Gedanken geben wir dir wertvolle Tipps, wie du dieses Mind-Game gewinnst.
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